Kannst du dich noch daran erinnern,
als im Fernsehen immer ein langer Abspann nach dem Film kam? Unendlich lang!
Heute wäre das unvorstellbar. Manchmal, wenn ein alter Film läuft, bemerke ich, wie befremdlich lange einzelne Szenen sind. Heute hat man dafür keine – ich will nicht sagen „Zeit“, sondern eher – GEDULD.
Es muss alles fix gehen. Ich suche eine Information und die will ich sofort haben. Ich habe ein Problem und das muss jetzt gelöst werden. Ich brauche eine Antwort und ich will nicht warten.
Das Leben ist schnell.
Die Aufmerksamkeitsspanne lässt rapide ab. Kaum mehr hat Zeit zum Lesen. Man überfliegt alles und weiß detailliert von … nichts. Jeden Tag prasseln Informationen über unterschiedliche Kanäle auf uns ein. Und wir sind es so sehr gewöhnt, dass wir mitziehen und uns selbst immer mehr und scheinbar gewollt der ständigen Informationsflut aussetzen.
Es ist wie ein Strudel, in dem eins zum nächsten führt und man immer mehr braucht, bis man unruhig wird, wenn der Geist mal nicht gefüttert wird. Wenn mal eine Leerphase kommt. Aber selbst dann ist auf den Vorrat Verlass, der im Kopf gespeichert ist. Denn prompt erfüllt er uns mit Sorgen und Gedanken und wir sind wieder beschäftigt.
Kennst du das?
Es geht so weit, dass man nicht nach Draußen muss, um einen Rummelplatz im Inneren zu erleben. Es ist immer was los.
Zuletzt habe ich ein Kind gesehen, das völlig in der Beobachtung seines Spielzeugs aufging und an mir vorbeigezogen wurde. So in sich versunken. So schön.
Mal ehrlich: Wann hast du ringsum alles vergessen? Wann hast du zuletzt nichts gedacht? Wann bist du zuletzt in einer Sache aufgegangen und hast alles andere bei Seite gelegt?
Das Hetzen, die innere Getriebenheit, sie fallen mir gerade verstärkt auf.
Im Sprachunterricht sehe ich viele Parallelen.
In gewisser Weise ist der Lernalltag wie damals als die Filme noch einen langen Abspann hatten: Ich gebe dem Lerner Zeit, Zeit sich kennenzulernen, Zeit sich einzufinden, Zeit zu verstehen. Wie sehr der Faktor Zeit beim Lernen von Bedeutung ist, kannst du hier nachlesen und auch eine Diskussion ansehen: „Lernen braucht Zeit, und es braucht Zeit zum Lernen“
Ich vermittle dem Lerner, auf sich und seine Kenntnisse zu vertrauen. Was hilft es, wenn die App ganz fix die Antwort weiß oder Google die Hausaufgabe viel besser übersetzt, als der Lerner? Lernen braucht Zeit. Ich will, dass der Lerner geduldig mit sich ist, und sich Zeit nimmt, um auf die Antwort zu kommen, Schlüsse zu ziehen, auszuwerten, im Buch nachzuschlagen. Meine Aufgabe als Trainerin ist es, den Rahmen für den Lernenden zu setzen. Dazu gehören Regeln genauso wie ein realistischer Zeitplan, um das Lernziel zu erreichen. Mehr dazu findest du auch im Blogartikel: „Wie gelingt guter Online-Unterricht?“
Als Sprachtrainerin bin auch ich gefordert: Ich darf mein Verhalten immer wieder reflektieren und bspw. darauf achten, nicht zu schnell das Wort zu ergreifen. Ich achte darauf, Raum für überraschende Ansichten und eigene Persönlichkeit zu geben, ohne sie sprachlich oder stilistisch zu verändern. Ich darf auf meine Sprache noch viel mehr achten und übe mich fortlaufend darin, konstruktive Bewertungen zu geben, die anspornt und aufbaut.
Mut zur Pause.
Mut zu mehr Zeit. Mut zu ewig langen Abspännen. Sie schenken die Möglichkeit, neue Informationen sacken zu lassen, einzugliedern, Fehler zu verstehen und neu zu starten.
Sei gut zu dir!
Schreib mir gern,
Daniela