Abschied oder Anfang?

Ich bin mit 19 das erste Mal von zu Hause weggegangen und – ich wollte – und ich wollte auch wieder nicht. Ich habe eine Woche mit Weinen und Lachen verbracht. War völlig neben mir und sammelte während meines 1. Auslandsaufenthaltes die Stücke meines Seins zusammen.

Dann wieder mit 25 Jahren. Und damals mit der Absicht für immer wegzugehen. Erneut war ein Weltschmerz in mir, der mich innerlich zerriss, aber auch neugierig in die Welt der Abenteuer eintauchen lassen wollte. Ab 25 – und jetzt bin ich 38 – war das Nach-Hause-Kommen oft ungeduldig ersehnt. Das Zu-Hause-Sein fast unspektakulär und das Von-Zuhause-Wegfahren wieder eine innerlicher Zerreißprobe. Naja, bis vor einiger Zeit.

Da habe ich für mich irgendwie einen Schalter umgelegt und das anerkannt, was mein Freund und jetziger Mann schon seit Anbeginn gesehen hatte: Es ist kein Abschied. Ich kann jederzeit zurück. Es ist meine Wahl. Ich bestimme.

Und das hat mich erleichtert. Es hat viele Jahre gebraucht, bis ich wirklich eingesehen habe, dass ich nicht Opfer meiner Entscheidungen bin, sondern ich selbstverantwortlich wähle, wie ich leben möchte.

Jetzt stehen mein Mann und ich gemeinsam vor einem neuen Weg ins Ausland. Wieder durchlaufe ich viele Stationen des Abschiednehmens, des Zusammenfassens, von dem was ist und dem, was sein könnte. In wenigen Tagen verabschieden wir uns gemeinsam und gewollt von 15 gemeinsamen Jahren in Italien, um einen Neubeginn in Deutschland zu wagen.

Wir sind keine „Hau-auf-den-Putz-“oder „Risiko“-Freunde, sondern vielmehr wohlüberlegte, manchmal auch zweifelnde Persönlichkeiten. Und doch zieht uns alles zu diesem Schritt – mit dem inneren Wissen und der Überzeugung, dass es zum rechten Moment geschieht und wir das für uns richtige wagen.

Diesmal verabschiede ich mich von Orten, die ich nicht von Kindheit an kenne. Es sind Orte, die ich selbst für mich erschaffen habe, ihnen Erinnerung und Erlebnisse verleiht habe. Es ist kein Abschied von meiner Ursprungsfamilie, sondern von der Familie, die mich voller Herz und offener Arme empfangen hat.

Für mich ist es diesmal kein Abschied. Es ist ein Loslassen von Besitztümern, Gewohnheiten und Glaubenssätzen. Ein zum Teil schmerzhafter Prozess, ich will es nicht leugnen. Denn so oft ich mich dagegen aussprach, eine berufliche Rolle inne zu haben, so oft ich mich nicht über Besitztümer identifizieren wollte, so sehr sind diese Dinge doch mit mir verwoben. Also Arrivederci mein heißgeliebtes, mir Freiheit verleihendes und mich vor Freude jauchzen lassendes Moped. Arrivederci meine Pflanzen, die ich euch über 8 oder gar 10 Jahre wiederbelebt, gepflegt, umgetopft, gegen Parasiten verteidigt und gewässert habe. Auf Wiedersehen an alle vertrauten Geräusche (der lärmenden Nachbarn, der Fußballchöre auf den Balkonen, der Geburtstagslieder, die unerwartet durchs Fenster drangen). Auf Wiedersehen, wohlbekannte Gerüche nach leckeren Gerichten (und der bitteren Einsicht, dass es nun auf den Straßen eher nach Suppe, als nach frisch Frittiertem oder Pasta riechen wird.). Auf Wiedersehen Farben und Eindrücke, denn Rom ist überschwänglich großzügig damit und überlädt förmlich die Sinne.

Ein Loslassen also von vermeintlicher Identität. Von Besitzanspruch. Um mich nun neu zu definieren und unter neuen Bedingungen kennenzulernen.

Eine Österreicherin mit einem Italiener in Deutschland. Ich hätte es mir nicht gedacht und doch fühlt es sich nun wenige Tage vor dem Umbruch gut an.

Abschied oder Anfang? Es kommt auf den Blickwinkel an, auf das, was man sehen und erleben will: Die Trauer oder die Freude?

Heute kamen Erinnerungen auf: auf dem Spazierweg und in der Wohnung. Kurze Flashbacks an Situationen und Gefühle und ich wurde kurz rührselig. Doch nein! Ich darf anerkennen, dass es schön war und die Erlebnisse fühlen und mitnehmen. Sie sind jedoch vergangen und selbst wenn ich hier bliebe, würden sie nicht wiederkommen.

Ich bin dankbar für diesen Weg und für alle Menschen, die uns ihm entlang Zuspruch und Freude geschenkt haben. Es waren viele! Und nun warten bereits neue Bekannte am Ankunftsort auf uns und es gibt gemeinsame Projekte, auf die ich mich freue.

Veränderungen sind die einzige Beständigkeit des Lebens, so heißt es.
Selbst Veränderungen hervorzurufen, ist oft mit Zweifeln und Angst verbunden, und sogar vom Umfeld oftmals ungern gesehen. Doch ist es das mächtigste, das wir machen dürfen: Für uns einstehen. Dem Leben Raum geben. Der Energie gestatten durch uns zu fließen und der Freude zu folgen.

Einen lieben Gruß,
sei gut zu dir!
Daniela